Gerinnung in der Zahnheilkunde

Die Hämostaseologie ist die Lehre vom „Stehen und Steckenbleiben des Blutes“, wie schon der Mitbegründer der modernen Hämostaseologie Rudolf Marx 1953 feststellte. Sie beruht auf komplexen Wechselwirkungen zwischen den Blutgefäßen, den Gerinnungsfaktoren und den Blutzellen, vor allem den Thrombozyten.

Bei zahnärztlichen Routineeingriffen können Störungen der Blutgerinnung, die zuvor ohne eindeutige klinische Symptome verlaufen und daher zunächst unerkannt bleiben, zu gefürchteten Blutungskomplikationen führen. Damit sind insbesondere hämorrhagische Diathesen von erheblicher Bedeutung für Patient und Zahnarzt, vor allem wenn operative Maßnahmen durchgeführt werden sollen.

Beispiele für derartige hämorrhagische Diathesen sind:

Wenngleich einige dieser Gerinnungsstörungen nur selten auftreten, ist ganz besonders die von Willebrand-Erkrankung von erheblicher Bedeutung auch für die tägliche Routine. Man kann davon ausgehen, dass etwa 1 bis 2% der deutschen Bevölkerung laboranalytisch eine nachweisbare von Willebrand-Erkrankung haben und etwa 1:3.000 bis 1:10.000 Patienten (je nach Literaturstelle) eindeutige, klinische Symptome aufweisen. Die von Willebrand-Erkrankung ist damit die häufigste, angeborene Ursache einer Blutungsneigung. Verschärft wird diese Situation dadurch, dass in den „üblichen“ laboranalytischen Untersuchungen (INR/Quick, aPTT, Thrombozytenzahl) eine von Willebrand-Erkrankung meist nicht erkannt werden kann.

Es stellt sich also die Frage, wie eine bestehende Gerinnungsstörung in der zahnärztlichen Routine möglichst sicher im Vorfeld eines Eingriffs erkannt werden kann. Am einfachsten lässt sich dieses Problem durch die Erhebung der Blutungsanamnese lösen. Nach der aktuellen Literatur ist eine standardisierte Blutungsanamnese einem alleinigen Screening mit der Erhebung von Routinetests in der präoperativen Abklärung überlegen. Vereinfachen lässt sich dies weiter durch die Verwendung eines standardisierten Fragebogens zur Erfassung des Blutungsrisikos. Wichtige Hinweise sind dabei:

  • Neigung zu blauen Flecken oder Petechien
  • häufiges Nasenbluten
  • besonders starke oder lange Regelblutung (> 6 Tage)
  • Nachblutung nach Zahnbehandlung, Operation oder Entbindung
  • häufiges Zahnfleischbluten oder auffällige Schleimhautblutungen
  • lang anhaltende Blutungen auch bei kleinen Verletzungen, Wundheilungsstörungen
  • positive Familienanamnese

Ergeben sich dabei ernstzunehmende Hinweise auf eine bestehende Blutungsneigung, sollte nach Möglichkeit eine hämostaseologische Abklärung im Vorfeld eines zahnärztlichen Eingriffs erfolgen. Durch die Einleitung geeigneter prophylaktischer Maßnahmen lassen sich dann zumeist Komplikationen effektiv verhindern. Zur Vorbeugung oder zur Behandlung von Blutungskomplikationen steht eine Reihe von Gerinnungstherapeutika zur Verfügung. Die Anwendung setzt aber immer eine hämostaseologische Diagnose voraus.

  • Antifibrinolytika (z. B. Tranexamsäure) lokal oder systemisch (p.o. oder i.v.)
  • DDAVP (Minirin®)
  • PPSB
  • Einzelfaktorenkonzentrate

Auch wird der Zahnarzt im Praxisalltag häufig mit oral antikoagulierten Patienten konfrontiert. Wichtige Indikationen für eine Antikoagulation sind z. B.:

Die derzeit noch am häufigsten zur Gerinnungshemmung eingesetzten Medikamente sind sicherlich Vitamin K-Antagonisten wie Phenprocoumon (z. B. Marcumar®), Heparin (unfraktioniert oder niedermolekular), sowie Thrombozytenaggregationshemmer wie Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin®) und Clopidogrel (z. B. Plavix® oder Iscover®).

Verkompliziert wird die Situation inzwischen durch den vermehrten Einsatz neuer Antikoagulanzien. Dies sind aktuell der direkte Thrombininhibitor Dabigatranetexilat (Pradaxa®) und die beiden Faktor Xa-Inhibitoren Rivaroxaban (Xarelto®) und Apixaban (Eliquis®). An dieser Stelle gewinnt die Planung vor zahnärztlichen Eingriffen einen immer wichtigeren Stellenwert, auch im Sinne einer Risikostratifizierung. Im Regelfall sind bei Einnahme eines dieser Medikamente einfache zahnärztliche Eingriffe nach 24 Stunden Therapiepause durchführbar. Ausnahmen ergeben sich in Abhängigkeit der Morbidität des Patienten (z. B. Niereninsuffizienz), so dass auch längere Pausen notwendig werden können. Ein Bridging mit niedermolekularem Heparin ist nach heutiger Auffassung in der Regel nicht erforderlich, kann aber auch wieder im Einzelfall angezeigt sein.

Vor dem Hintergrund der zahlreicher werdenden therapeutischen Optionen ist der Umgang mit antikoagulierten Patienten oder Patienten mit angeborenen Gerinnungsstörungen in den letzten Jahren eher komplexer geworden. In schwierigen Fällen ist daher die Konsultation eines Hämostaseologen häufig die einfachste Lösung im zahnärztlichen Alltag.

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